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Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 14:06
von Esteka
Die Kurzform: Sonntag gegen 20h vom Sonderspiel zum HBF Köln, mit dem ICE nach Bielefeld und pünktlich zu Hause angekommen.

Das ist aber etwa so, als wenn der Fussballreporter berichtet: Spielanpfiff des entscheidenden Spiels um die dt. Meisterschaft 15.30h, Abpfiff 17.15h, Endergebnis 5:4 (0:4).

Die Langform, oder "der Zugführer fährt heute nach Navi"

Schon im Sonderspiel fragte mich der spät eintreffende und nachrichtenhörende Disa, ob ich wirklich mit dem Zug nach Hause will, durch den Orkan sei alles durcheinander. Ich antwortete optimistisch, dass man im Zug schön warm sitzt und eine halbe Std. Verspätung nicht so schlimm ist.

Chris brachte mich netterweise mit dem Auto zum HBF Köln. Auf dem Weg sahen wir mindestens drei Feuerwehreinsätze, um umgestürzte Bäume von der Strasse zu räumen, und mehrere weitere Feuerwehrwagen waren mit Blaulicht zum nächsten Einsatz unterwegs.

Im Kölner HBF dann das totale Chaos. Tausende Menschen liefen planlos hin und her (oder ist es da immer so?). Die einzig ruhigstehende Menge stand in drei 50m langen Schlangen vor dem Bahn-Servicepoint.

Die grosse Anzeigetafel: 80% aller Züge "fallen aus". Na Gottseidank, bei "meinem" ICE stand nur "60 Min. Verspätung". Planmäßig sollte er 25 Min. später fahren.

Dann die Lautsprecherdurchsage "Gleis 2 ICE nach Berlin bitte einsteigen und Türen schließen". Das war nicht mein Zug, aber ich stand zufällig unterhalb Gleis 2 und bin die Treppe hoch, mal gucken.

Gerade schlossen sich die Türen. Kurzer Blick auf die Anzeigetafel. Tatsächlich Berlin und nicht Paris.

2 Sek. überlegt. 60 Minuten Verspätung abwarten oder mit dem falschen Zug fahren? Ich hätte nämlich Spartarif mit Zugpreisbindung. Der innere Schweinehund, nicht €20 Nachschlag zu zahlen, gewann fast die Überhand.

Dann kurzentschlossen mit dem Schaffner zusammen durch die letzte offene Tür hinein.

Zug voll, doch ein Sitzplatz war noch frei. Da sass ich nun 10 Minuten im abfahrbereiten Zug, der aber nicht abfuhr.

Durchsage des Zugführers. "Ich begrüsse sie im ersten Zug seit Stunden, der in Köln abfährt." Wortreich und freundlich erklärte er den entsetzten Reisegästen dann, dass die Strecke über Wuppertal und Hagen wegen Baumschäden gesperrt ist, man suche eine andere Route.

Nach weiteren 10 Minuten verblüffte er uns mit der Ansage, dass er "erstmal nach Düsseldorf" fährt, "mal sehen wie es dann weitergeht." Er könne nicht sagen, welche Strecke er fährt, wo er wann hält und ob er überhaupt in Berlin ankommen würde. Wer in Köln zu Hause ist oder ein Hotelzimmer nehmen könne, soll das doch bitte jetzt sofort tun.

Einige Fahrgäste verließen tatsächlich den Zug, um einer abenteuerliche Reise durch das nächtlichte Deutschland zu entgehen.

Dann ging es tatsächlich langsam los in die dunkle Nacht. Mulmig war einem schon. Mein Handy klingelte. Sven dran. "Wir holen Dich wieder ab, Du kannst bei uns schlafen". Nett, aber zu spät.

In Düsseldorf stieg keiner aus (weil da ja der Zug gar nicht hin sollte), und keiner ein (weil zu der Zeit gar kein Zug nach Berlin erwartet wurde). Also gleich weiter. Etwa 3km, dann standen wir eine Viertelstunde mitten in der Stadt still. Durchsage "Eigentlich müssten wir zurück nach Düsseldorf, die Hauptstrecke nach Essen ist blockiert." Weiter erklärte er wortreich, dass im Zug etwa 100 Bahnbedienstete sind, denen unbedingt eine Rückfahrt nach Berlin ermöglicht werden sollte, weil sonst morgen früh der Fahrplan durcheinanderkomme.

Zwar fühlte man sich nun etwas als Reisender 2. Klasse (was ich ja sowieso war), aber solange ich nach Hause komme, egal.

Irgendwie fuhren wir um Essen herum und hielten erst wieder in Dortmund. Auf kleineren Bahnhöfen dazwischen, dessen Namen ich nicht erkennen konnte, rauschten wir durch, ohne die Massen von Menschen zu beachten, die auf den Bahnsteigen froren.

In Dortmund wieder ein Geisterbahnhof. In Hamm war die Hölle los. Dort schienen viele gestrandet zu sein und froh über die einzige Weiterfahrgelegenheit. Inzwischen hatte uns der rührige Zugführer informiert, dass wir der einzige Zug war, der in ganz NRW noch fuhr und für den Rest der Nacht fahren würde.

Alle von Goldserie machten sich anscheinend schreckliche Sorgen um mich, was ich sehr rührend finde. Disa rief zweimal an und wollte mich in Dortmund vom Bahnhof abholen, damit ich bei ihm in Wuppertal schlafen konnte. Ich lehnte dankend ab, denn wir rollten ja noch.

Hamm bescherte uns ein gewisses Übergepäck an Leuten, die in den Gängen stehend den Rest der Reise erlebten.

Ein grosses Lob den Zugbegleitern, die sich durch die Massen quälten und jeden Reisenden nach seinem Reiseziel fragten. Was dazu führte, dass der Zug völlig außerplanmäßig in Gütersloh, Herford, Minden und Bad Oenhausen anhalten sollte, um Reisende möglichst nah an ihr Ziel zu bringen.

Einige Mal blieben wir noch auf offener Strecke stechen, was uns jedesmal einen gehörigen Schreck machte. Von einem Handy-radiohörenden Mitreisenden wussten wir inzwischen, dass bei Fulda ein Zug in einen Baum gerast und entgleist war. Für Hundertere Fahrgäste war die Reise zu Ende.

Sowas schweisst zusammen. Jeder im Grossraumabteil wusste was zu berichten. Überzählige Wasserflaschen wurden weitergereicht. Man erzählte sich allerlei Erlebnisse über die Fahrt mit der dt. Bahn. Die für dieses Chaos auch wirklich nichts konnte. Vielen Dank an die Bahnbediensteten, die mich exklusiv nach Hause brachten. Auf die Minute pünktlich kam ich in Bielefeld an.

Hätte ich in Köln auf meinen Zug gewartet, würde ich da immer stehen. Heute morgen soll es sich der Zugverkehr langsam normalisiert haben.

Tsänku for träwelling wif deutsche Bahn.


Zwei Bilder aus dem Bahnhof Bielefeld.
Z1.jpg
Z2.jpg

Re: Abtenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 14:33
von katzel
Mit dem Auto ging es da etwas besser, außer Slalom um abgebrochene Äste und heftige Windböen waren die Straßen ungewöhnlich frei. Wahrscheinlich sind viele Autofahrer einfach zuhause geblieben. Kurz nach 2.00 Uhr war ich wieder an der Elbe.

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 14:38
von uhrjeckholgi
Ja, das hat mich auch gewundert.
Die Autobahn war wirklich wie leergefegt.

@ Esteka
Das grenzt dann ja schon an ein Wunder das du überhaupt nach Hause gekommen bist.

holger

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 14:53
von hab_noch_dm
Esteka hat geschrieben:
Z1.jpg
Z2.jpg
560 min verspätung...
cool!

danke für die amüsanten zeilen! :wink:

abenteuer bahn - obwohl sie diesmal nix dafür kann.

aber die ganzen deppen, die im wald von bäumen erschlagen worden sind, schon.
natürliche selektion! :mrgreen:

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 14:59
von hab_noch_dm
wieso werden bei zitat bilder nicht mit angezeigt???
wenn ich das aber möchte, was muss ich dann machen?

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 15:23
von Esteka
In Zitaten werden die Bilder nicht angezeigt. Ist eigentlich auch gut so, denn sonst würden die Beirtäge durch die gleichen Bilder immer länger.

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 15:34
von pitbread
Schöner Bericht, Stefan! Und mal ein positives Beispiel dafür, dass die Bahn auch flexibel und kommunikativ sein kann. :hoch

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 15:46
von stefan8273
Ich bin am Samstag von Düsseldorf nach Leer gefahren , dank der Grossbaustelle auf den Düsseldorfer Bahnhof und einen Stellwerkschaden in Köln hatte da auch schon alles min . 40 Minuten Verspätung aber dafür wurde meine Fahrkarte nicht entwertet und die habe ich heute mit 15 € abzug wieder umgetauscht und dafür 23 € wieder bekommen , fand das doch ganz nett .

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 01.03.2010, 19:03
von muenzspielfreund
pitbread hat geschrieben:Schöner Bericht, Stefan! Und mal ein positives Beispiel dafür, dass die Bahn auch flexibel und kommunikativ sein kann. :hoch
*unterschreib*

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 02.03.2010, 07:15
von BigRisc
Hi

Bayern kann so schön sein , normaler Bahnverkehr , keine Bäume horizontal ,
alles normal . Ich bin froh in BAYERN zu wohnen .

MFG Martin

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 02.03.2010, 12:55
von Dieter K.
Was warn das fürn Sturm 110 Km/h ?

Ist doch bezeichnend für unsere Hochtechnisierte Zeit,das so ein laues Lüftchen alles so durcheinander bringt.

Dieter

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 03.03.2010, 09:03
von Esteka
Jetzt auch in der Zeitung (fast gleicher Text):
Zugfahren.jpg

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 03.03.2010, 09:53
von disa
Ist ja cool! Aber warum heiss ich einmal Dirk und einmal Peter? Will man die mündigen und intelligenten Leser des Haller Kreisblattes nicht verwirren?

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 03.03.2010, 09:54
von disa
Hier der Online-Artikel.

Re: Abenteuer Zug fahren

Verfasst: 03.03.2010, 13:39
von Esteka
disa hat geschrieben:Ist ja cool! Aber warum heiss ich einmal Dirk und einmal Peter? Will man die mündigen und intelligenten Leser des Haller Kreisblattes nicht verwirren?
Hier in Ostwestfalen lieben das die Menschen.