Jüngst, Paul und Fritz
Am Anfang war eine (Luft)schlossfabrik
Ein Bericht von 1994
Nach dem Willen ihres Großvaters würden die Brüder Jüngst heute, wie es in Velbert Spezialität ist, Schlösser aller Art herstellen. Aber da war ein Vater, der es bereits in den zwanziger Jahren vorzog, Spielautomaten zu produzieren. Jetzt treten sie in seine Fußstapfen.
Marktanteile? Paul Jüngst (40), Doktor der Wirtschaftswissenschaften, holt tief Luft. „Da haben wir keinen besonderen Ehrgeiz."
„Noch nicht!" fügt vorsorglich sein Bruder Fritz (46) hinzu.
Wenn die Null vor dem Komma verschwindet, sei man zumindest vorläufig schon am Ziel. Das könnte bereits mit dem ersten Gerät aus ihrer neuen Ariston-Produktion, dem Maya, erreicht worden sein.
„Wenigstens hat der Absatz unsere Erwartungen übertroffen", äußern sich beide Brüder. „Im Augenblick befinden wir uns durch Nachbestellungen sogar in Lieferschwierigkeiten."
Ariston stellt sich als Entwicklungs- und Vertriebsgesellschaft dar. Die GmbH ist voll in Familienbesitz. Als Berater wurde Jürgen Horst, ehemals Hellomat, herangezogen. Produziert wird bei Bergmann in Hamburg. Mit Bergmann-Technik, so daß Austauschbarkeit, neudeutsch Kompatibilität, gegeben ist.
In der etwa einjährigen Vorbereitungsphase war unter anderem auch erwogen worden, die Geräte in Tschechien produzieren zu lassen. Dabei stellte sich heraus, daß der Standort Deutschland zumindest in diesem Bereich der bessere ist. Trotz niedrigeren Lohnniveaus wäre die Herstellung der Ariston-Geräte im Ausland teurer gewesen. Überhaupt spiele der Preis für ein Gerät nicht die große Rolle, wie es nach Gesprächen mit Automatenkaufleuten immer scheint. Für ein Gerät, das gute Kassen bringt, sei man immer bereit, einen entsprechenden Preis zu zahlen. So Dr. Paul Jüngst. Als neuer Anbieter müsse man natürlich auch über den Preis ins Geschäft drängen.
In erster Linie habe man bei dem Entschluß, selbst Spielgeräte herzustellen, an das eigene Aufstellunternehmen gedacht, fügt sein Bruder Fritz hinzu. Man habe den Eindruck, daß die Entwickler in den großen Firmen ein wenig die Bodenberührung verloren hätten.
Fritz Jüngst: „Vor allem die schlechte Resonanz des 40 Pfennig/4 MarkSpiels hat uns Kummer bereitet."
Die Antwort der Brüder Jüngst auf dieses Problem ist ein Gerät, bei dem der Spieler per Tastendruck selbst entscheiden kann, ob er mit 30 Pfennig und geringeren oder mit 40 Pfennig und entsprechend größeren Gewinnmöglichkeiten spielen will. Dieser Trick mit der Taste ist offensichtlich auch bei anderen Aufstellern gut angekommen.
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Die Familie Jüngst ist eine alte Aufstellerfamilie. In Nordrhein-Westfalen bekannt und hoch geachtet vor allem durch Mutter Thea Jüngst. Sie hat sich immer aktiv an der Arbeit im Deutschen Automaten-Verband (DAV) beteiligt, ist viele Jahre hindurch Kassenprüferin gewesen. Mit dem Rückzug aus der Verbandsarbeit hat sie auch den Rückzug aus der Firma angetreten. Doch will ihr das noch nicht so ganz gelingen. „Irgendwie fühle ich mich wohler, wenn ich mich davon vergewissert habe, daß die Jungs es richtig machen", räumt die 67jährige Geschäftsfrau ein. Dabei hat sie die Jungs, heute 40 und 48 Jahre alt, schon sehr früh an die Arbeit im Aufstellergeschäft herangeführt. Thea Jüngst: „Die haben niemals Taschengeld für Nichtstun bekommen, sondern immer dafür mitarbeiten müssen."
Als 1969 Vater Fritz Jüngst starb, war Sohn Fritz in der Lehre und Paul ging noch zur Schule. Da hat die Familie zusammenstehen müssen. 300 Aufstellplätze sollten betreut und vor allem gehalten werden. „Damals hat die Konkurrenz vor mir den Hut gezogen", äußert sich Thea Jüngst über diese schwere Zeit. Das ist nicht etwa so zu verstehen, daß man sich nicht bemüht hat, ihr die Plätze abzujagen, die Situation der alleinstehenden Frau für sich zu nutzen.
„Das habe ich mir natürlich nicht gefallen lassen!" sagt sie, als ob es das Selbstverständlichste wäre. „Im Gegenteil. Ich habe damals noch kräftig zugelegt." In diesem Zusammenhang erinnert sie sich an die Verhandlung mit einem besonders hartnäckigen Gastwirt. Vier Stunden hatte sie schon mit Engelszungen auf ihn eingeredet. Er wollte sich nicht davon überzeugen lassen, daß Spielautomaten eine gute Bereicherung für sein Lokal wären. Sohn Paul war dabei. Er hatte von dem Hin und Her längst die Nase voll und riet seiner Mutter zum Aufgeben. Aber sie wollte diesen Kunden unbedingt haben. Nach viereinhalb Stunden war es dann endlich geschafft.
„Niemals aufgeben. Das ist in unserer Familie schon immer die Devise gewesen", sagt Thea Jüngst.
So hatte es ihr Ehemann Fritz schon in den zwanziger Jahren gehalten, als die Aufstellung von Spielautomaten noch eine Gratwanderung zwischen Legalität und Illegalität gewesen ist. Seinem Vater, der ebenfalls Fritz hieß, hat er damit vermutlich manchen Kummer bereitet. Großvater Fritz hat die Firma Jüngst gegründet. Doch nicht als Automatenaufstellbetrieb, sondern als Schlösserfabrik.
Schlösser aller Art sind eine Spezialität der Region Velbert. Hier haben zum Beispiel die beiden größten Hersteller von Autoschlössern ihren Sitz. Würde es nach dem Großvater gegangen sein, hätte sich auch die Firma Jüngst auf diesem Sektor etabliert.
„Da hat mein Vater den Anschluß verpaßt", sagt Sohn Paul. Für den Vater scheint die Schlösserfabrik gelegentlich eher eine Luftschlösserfabrik gewesen zu sein. Dr. Paul Jüngst: „Alles mögliche hat er manchmal hergestellt. Von Aschenbechern bis zu Fahrrädern. Vor allem Spielautomaten. Das schlimme war, daß er mit solchen Sachen immer den größten Erfolg hatte."
So war es schon 1926 gewesen, als der Vater in der Fabrik des Großvaters das erste Geldspielgerät selbst baute. Ein Drei-Walzen-Gerät mit Hebearm, sogenannter einarmiger Bandit. Einziger Abnehmer war die Firma Jüngst & Butterweck, die er zusammen mit einem Freund gegründet hatte. Eine Automatenaufstellung, die im ganzen damaligen Reichsgebiet tätig war.
Das Geschäft florierte. Schon damals konnte sich Vater Jüngst einen Mercedes leisten. Als der Verkäufer Barzahlung forderte, führte er ihn in sein Haus, ins Badezimmer. Dort forderte er den Autoverkäufer auf, die Kaufsumme aus der Badewanne zu nehmen. Die war bis oben hin mit Fünf-Pfennig-Stücken aus der letzten Kassierung gefillt.
Mutter und Söhne erzählen diese Geschichte, als ob sie selbst dabeigewesen wären. Ebenso andere Episoden aus dem Leben des Vaters, der in diesem Jahr hundert geworden wäre.
So wird sein Wirken lebendig gehalten. Die beiden Söhne führen das Unternehmen in seinem Sinne fort. Fritz war schon voll in die Fußstapfen des Vaters getreten, als Paul vorübergehend noch andere Ambitionen hatte. Er studierte. Seine Doktorarbeit schrieb er über ein Automatenbranchenthema. Klar, daß er danach schon bald zur Praxis zurückfand.
Fritz und Paul sind gleichberechtigte Geschäftsführer der Firma, die 20 Spielstätten und zehn verpachtete Gaststätten betreibt. Da kommt es häufiger vor, daß beide verschiedener Meinung sind und sich nicht einigen können. Dann entscheidet Mutter Thea. Was sie sagt, wird gemacht.
Auch die Idee, selbst Geldspielgeräte zu produzieren, ist ausführlich mit der Mutter besprochen worden. Da hat sie zum erstenmal ein salomonisches Urteil verweigert: „Das müssen die beiden selber wissen!"